Lebensräume
Bunte Vielfalt der Biotope
Der Nationalpark Jasmund gehört zu den wenigen Landschaften Deutschlands, in denen die Abfolge vom geschlossenen Wald zu natürlich offenen Biotopen zu beobachten ist. Im Gebiet blieb ein reiches Spektrum naturnaher Ökosysteme bis in die Gegenwart erhalten, das durch weitgehende Eigendynamik gekennzeichnet ist. Dazu gehören die Flachwasserzonen der Ostsee, Blockstrände, Steilküsten, Wälder sowie Bäche und Moore. Überall laufen die natürlichen Prozesse ohne menschliche Eingriffe ab. Alles ist in steter Veränderung, nur die Geschwindigkeit der Veränderungen ist verschieden. Die meisten Ökosysteme können als sich zyklisch wandelnde Mosaikgefüge aufgefasst werden. Sie bestehen aus ineinandergreifenden Übergängen unterschiedlicher Entwicklungsstadien.
Wälder
Naturwälder - mehr als nur eine Ansammlung von Bäumen
Die Landfläche des Nationalparkes wird von Buchenwäldern dominiert, die über 80 % der Waldfläche einnehmen. Im Frühjahr, bevor das Laub austreibt, zeigt sich die Vielfalt der Buchenwälder. Es ist die Zeit der Frühblüher und der Waldboden ist blühtenübersät. Aber man trifft auf Unterschiede und Differenzierungen. Je nach dem, auf welchem Untergrund der Buchenwald wächst, auf Kreide-, Mergel-, Lehm- oder Sandboden, finden sich ganz unterschiedliche Pflanzen in der Krautschicht des Waldes. Die Blütenpracht ist jedoch von kurzer Dauer. Sobald sich das sommerliche Laubdach geschlossen hat, ist es zu dunkel für viele Kräuter und Gehölze. Deshalb fehlt den Buchenwäldern auch eine Strauchschicht. Die restlichen 20 % der Waldfläche werden je zur Hälfte von anderen Laubbaumarten wie Erle und Esche (vorrangig in feuchten Senken) und von Nadelbaumarten wie Fichte und Lärche geprägt.
Steilufer
Die Kliffs von Jasmund, der größte geologische Aufschluss Norddeutschlands
Die Steilküste Jasmunds ist eine besonders exponierte Außenküste und zugleich die höchste im südlichen Baltikum. Bei nordöstlichem Sturm entwickeln sich auf der freien Wasserfläche der Ostsee Wellen mit gewaltiger Kraft. Die Brecher erreichen das Kliff und schwemmen das aus dem Kliff gebrochene Material vom Strand ins Meer. So bleibt die Steilheit der Kliffs erhalten. Immer wieder kann Gestein nachbrechen und abrutschen. Besonders im Winter, wenn der Spaltenfrost wirkt, und in feuchten Jahren ist es nicht ungefährlich, unterhalb der Steilufer zu laufen. Andere Abschnitte des Steilufers sind bereits zur Ruhe gekommen. Zunächst besiedeln Gräser und Kräuter Abbruchflächen und Hangschutt. Im Laufe von Jahrzehnten verbuschen die Flächen und entwickeln sich schließlich zu artenreichen Naturwäldern. Wo grundwasserführende Schichten angeschnitten sind, treten Quellen aus. Das Wasser fließt in Rinnsalen zum Strand hinunter oder speist kleine Quellmoore.
Blockstrände
Rügen hat nicht nur feinsandige Badestrände zu bieten...
Blockstrände säumen die Steilufer des Nationalparkes. Sie sind die Grenze zwischen Land und Meer. Blockstrände von Badelustigen gemieden, bieten Naturfreunden viel Interessantes: Feuersteine und Versteinerungen aus der Kreide, skurrile Skelette abgestürzter Bäume sowie eiszeiliche Geschiebe in allen Farben, Formen und Größen. Es handelt sich um Steine, die einmal in Skandinavien oder dem Baltikum beheimatet waren und zu ganz unterschiedlichen Gesteinsarten gehören. Im Spülsaum findet man, was die Wellen ans Ufer geworfen haben, verschiedene Algen, Muschel- und Schneckenschalen und mit etwas Glück sogar Bernstein. Hin und wieder trifft man zwischen den Steinen auch auf die wenigen salzertragenden Pflanzen wie den Meerkohl, den Meerstranddreizack oder das Salz-Milchkraut. Sie gedeihen auf dem kargem Boden zwischen den Blöcken und widerstehen der Überflutung durch das brackige Ostseewasser ebenso wie dem Licht und der Hitze in der prallen Sommersonne.
Quellen und Bäche
Der Weg des Wassers, von der Quelle zum Meer - auf Jasmund kann man ihn erleben
Naturbelassene Quellen und Bäche gibt es in Mitteleuropa faktisch kaum noch. Quellen wurden Wasserfassungen und Bäche zu begradigten Entwässerungsgräben. Damit verschwanden nicht nur einzigartige Lebensräume, sondern auch Orte, die im Volksglauben der Vergangenheit als Heiligtümer verehrt wurden. Doch auf Jasmund gibt es sie noch, zahlreiche Quellen, die sich in Schüttungsmenge und Wasserqualität unterscheiden. So finden sich Quellen kalkreichen Wassers, in denen es zur Ablagerung von Quellkalken kommt. Es gibt Quellen, die eisenreiches Wasser führen und solche, die sich durch erhöhte Schwefelwasserstoff- und Kohlendioxid-Gehalte auszeichnen. Im Gebiet gibt es zahlreiche Fließgewässer. Die größeren Bäche entspringen in Quellmooren des Hochbereiches und fließen frei mäandrierend durch den Buchenwald zum Steilufer. Dort strömt das Wasser mit hoher Geschwindigkeit und stürzt zum Teil über kleine - für Mecklenburg-Vorpommern jedoch gewaltige - Wasserfälle die Hänge hinab zum Strand.
Ostsee
Nicht mehr Süß- und noch nicht Salzwasser:
die Geheimnisse des Brackwassers... Zum Nationalpark gehört auch der unmittelbar dem Strand vorgelagerte, 500 m breite Flachwasserbereich der Ostsee. Das Nationalparkgebiet endet bei etwa 10 m Wassertiefe. Der Meeresboden ist mit unterseeischen Kreiderücken, algenbewachsenen Geröllfeldern, Muschel- und Sandbänken sowie Schlickgründen in unterschiedliche Lebensräume differenziert. Aber die Halbinsel Jasmund liegt sehr sturmexponiert in der Ostsee und in strengen Wintern wird Packeis zu mächtigen Barrieren zusammengeschoben. Durch Brandungswellen und Eisschub kommt es zu Freispühlung und Umlagerung. Die Lebensräume am Meeresgrund befinden sich in steter Veränderung. Der Salzgehalt an der Außenküste von Jasmund liegt bei etwa 1 %; das Wasser ist brackig. So leben hier verschiedene Meeres- und Süßwasserlebewesen in ungewöhnlicher Weise nebeneinander.
Moore
Archive der Sonne, vom Wasser gespeist und geheimnisumwittert...
Moore sind Feuchtgebiete die eine torfbildende Vegetation auf ihrer Oberfläche tragen. Darunter speichern die, aus unvollständig zersetzten Pflanzenresten bestehenden Torfe große Mengen Wasser, aber auch Kohlenstoff- und Stickstoffverbindungen. Den Mooren kommt einerseits eine wichtige Speicherfunktion im Naturhaushalt zu. Andererseits stellen sie einen selten gewordenen Lebensraum für spezialisierte Pflanzen und Tiere dar. Im Nationalpark gibt es zahlreiche Moore, die über das gesamte Gebiet verteilt sind. Es handelt sich vor allem um Quell-, Durchströmungs-, Kessel- und Versumpfungsmoore. Gewässerverlandungs- und Überflutungsmoore sind kleinflächig vertreten. Als Besonderheiten sind schließlich einzelne Regenmoorkalotten auf Durchströmungsmooren und ponorartige "Schlucklöcher" zu erwähnen. Letztere belegen die beginnende Verkarstung der Kreidekalke im Untergrund.
Kalktrockenrasen
Bunte Vielfalt durch Kreide und Licht
Eine Besonderheit der Kreidelandschaft Jasmunds sind die Kalktrockenrasen. Natürliche Vorkommen dieser Vegetationsform sind die Steilufer der Küste. Abbruchflächen an den Kreidekliffs werden nach einigen Jahren von einer Gesellschaft ganz besonderer Gräser und Kräuter besiedelt. Es sind Pflanzen, die auf sehr spezielle Standortbedingungen angewiesen sind: kalkreicher Boden, trockene Wärme und viel Licht. Der Nichtfachmann ist überrascht von der Formen- und Farbenvielfalt auf diesen Flächen. Auch Orchideen sind hier nicht selten. Aber die Kalktrockenrasen sind nur eine Episode in der Vegetationsentwicklung auf den Steilhängen. Bald wachsen Gehölze empor und beschatten den Boden. Am Ende der Entwicklung steht die Bewaldung der Steilhänge - bis zum nächsten Uferausbruch. Auch im Westen des Nationalparkes, in stillgelegten Kreidebrüchen, gibt es Kalktrockenrasen. Dort sind sie Teil der Pflegezone des Nationalparkes, die Ausbreitung von beschattenden Gehölzen wird im Zuge der Biotoppflege unterbunden.
Mittel- und Niederwald
Waldnutzungen in alter Zeit
Vor Erfindung der Motorsäge war der Holzeinschlag mühsam. Um sich die Brennholzgewinnung zu erleichtern, legte man früher siedlungsnah buschartige Waldungen an, die Niederwälder. Das Prinzip der Niederwaldbewirtschaftung ist einfach: Nach dem Fällen treiben einige Baumarten um die Stubben kranzartig neu aus. Das vorhandene Wurzelwerk führt zu schnellem Wachstum der Triebe. In relativ kurzen Intervallen, bevor die nachgewachsenen Stämme allzu stark sind, kann man reiche Brennholzernte einbringen. Eine andere Form alter Waldbewirtschaftung ist der Mittelwald, eine Kombination aus Nieder- und Hochwald. Hier läßt man einzelne, aus Saat oder Pflanzung hervorgegangene Bäume normal heranwachsen. Diese "Kernwüchse" liefern das Bauholz. Nieder- und Mittelwald sind lichter, auch stärker strukturiert als der Hochwald. Kulturgeschichtliche wie auch naturkundliche Gründe sprechen dafür, einige Mittel- und Niederwälder im Nationalpark zu erhalten. Sie sind Teil der Pflegezone des Nationalparkes.
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